Texte

Peter Niedermair

ZWISCHEN DIR UND MIR Ausstellung, Villa Falkenhorst 2022, Auszug

„Sprache macht Wirklichkeit“, sagte Ruth Wodak im November 2016 in einem Interview mit der Zeitschrift KULTUR, als sie Gast bei einer Tagung der Psychoanalytischen Gesellschaft in Schwarzenberg war. Sie ist  eine österreichische Sprachsoziologin, Diskursforscherin und emeritierte Professorin für angewandte Sprachwissenschaften der Universität Wien und der Lancaster University in England. In diesem besagten Interview spricht sie auch darüber, wie Sprache, Denken und auch Emotionen im kommunikativen Handeln eng zusammenwirken. „Alles, was wir denken und äußern, ist versprachlicht, einerseits im Denken und andererseits auch, wie wir sprachlich handeln, also mit anderen kommunizieren. Selbst wenn wir nur nachdenken, für uns selbst, muss dies in bestimmten Konzepten, Begriffen und Bildern geschehen. Und auch dies kann nur sprachlich passieren, weil wir immer in Bedeutungen, in Sprachspielen, wenn man so will, einsozialisiert werden.“

Grundsätzlich ist Sprache ein weites Feld und ein spiegelglatter Grund. Um diesen Grund  begehbar zu machen, ohne auszurutschen, bedarf es der Sensibilität der Künstlerinnen und Künstler mit ihren je eigenen Sprachen und Artikulationsformen. Sie wissen, dass „zur Sprache kommen“ ein Auf-die-Welt-Kommen bedeutet, ein Bewusstwerden in dieser Welt. Die Sprache der Kunst, wie wir ihr von Heidi Comploj vermittelt begegnen, ist poetisch, komplex, spielerisch-sensibel, subtil ironisch und ausdrucksstark.

 

Soziale Systeme

etablieren sich durch Kommunikation, wie wir von Niklas Luhmann, der die Systemtheorie maßgeblich begründete, wissen. Dieses Axiom der Kommunikation und des kommunikativen Handelns (Jürgen Habermas)  greift die Künstlerin in ihrer Ausstellung „zwischen dir und mir“ in der Villa Falkenhorst auf und zitiert in diesem komplexen Feld der Kommunikation das nächste von Paul Watzlawik bekannte Axiom „You cannot not communicate“. Es gibt noch eine Reihe weiterer Begriffe, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, verbale-nonverbale Kommunikation oder das Bild vom Eisberg, der symbolisch für die Anteile des Nonverbalen, der Gefühle, Haltungen und Vorurteile steht. Es gibt sehr viele rhetorische und pragmatische Mittel, die wir alle benützen, die etwas mit-bedeuten, manchmal für eine bestimmte Gruppe verständlich sind und andere Lesarten eröffnen, weil Bedeutungen immer erst dialogisch hergestellt werden. Es kann sein, dass ich etwas meine, aber jemand anderer darunter etwas ganz anderes versteht.

 

Die Ausstellung „zwischen dir und mir“

Die Überbegriffe der in dieser Ausstellung gezeigten Serien sind in der Regel philosophisch hintergründig-komplex. Doch die Umsetzungen bzw. Übersetzungen von Begrifflichkeiten gehen weit über das Formale hinaus und können mitunter auch ganz zur Seite gelassen werden: „Manchmal ist es einfach nur die Form, da muss nichts hineininterpretiert werden.“ Mit unterschiedlichsten Materialien und Techniken nähert sich Heidi Comploj der Vielfalt und den Spielarten des Kommunikationsthemas an. Die faszinierenden Charakterfiguren, die als Werkgruppe auf unterschiedlich hohen weißen Sockeln positioniert sind, überzeugen in der Ausstellung durch ihre Materialvielfalt, von kartonierten Spindelspulen bis Draht, von Ton bis Textilstoffen, wofür ihr die Firma Getzner Textil eine wahre Recyclingfundgrube ist. Sie fertigt daraus Figuren in Weiß, das sich bei näherem Betrachten in einzelne spielerische Mini-Universen aufgliedert. Diese Figuren sind neben den sehr präzise gehängten kleinformatigen Collagen und den drei massiven Säulen, in denen Aspekte von Erinnerungen thematisiert werden, ein integraler Bestandteil dieser Ausstellung.

 

Eine sehr dichte Bildserie geschaffen

Neueste Arbeiten, die in diesem großen Raum im Kellergeschoß der Villa Falkenhorst zu sehen sind, beschäftigen sich mit sprachlichen Mitteln, unterschiedlichen Dialekten in Österreich, eigentlich mit Kommunikation in allen Lebenssituationen. Mir gefällt besonders der ironische Touch dieser Bilder, der sich zentral im „Felix Austria“ Sujet findet und sich auf der Ebene lokal verwendeter Wörter und Begriffe fortsetzt. Die Künstlerin begreift Wörter als offenes ästhetisches System, das Sprache als „authentischen Akt“ versteht. Ihre künstlerische Neugier hat sie durch alle Produktionsstätten und Abteilungen der Getzner Firmen geführt, zunächst einmal und im Epizentrum des künstlerischen Blicks stehen die textilen Werkstoffe. Heidi Comploj hat einige Jahr bereits in den Betriebsstätten insbesondere Details der Produktion fotografiert, um ein Bild davon zu generieren, wie viel gebündelte Informationen, Erfahrung und Wissen es benötigt, um hochwertige Materialien zu produzieren, die sie auch in einzelnen Arbeiten dieser Ausstellung integriert. Diese Erfahrung baut auf intensiver Forschung auf, braucht elaborierte Techniken, verlangt globalen Weitblick, Offenheit und Neugier und das Wissen um kooperativ-konstruktives Zusammenspiel aller.

Die Künstlerin Heidi Comploj ist eine Doppelbegabung als Malerin und Sprachgestalterin. Sie ist eine Poetin in diesem wie im anderen. Ihre Bilder spannen einen Bogen vom gesprochenen Wort zum farbigen Bild. Wörter an sich sind schon Formbilder, Lautzeichen, die sich im Aussprechen zu Wortgestalten verwandeln, zu alltäglichen Grundworten wie in einem Setzkasten. Dabei klingen mitunter die subtilen ironischen Anklänge mit, Paradoxien und Zweideutigkeiten, denen die Künstlerin nachhört. Eindrücklich und sehr beachtlich sind auch die diskursiven Auseinandersetzungen mit Erinnerungen. Von den „Löchern“, die in den Narrativen der Vergangenheit angelegt sind, bis zu den Sammelstücken im Schaufensterdisplay, die in ihrem losen Verbund eine stille, neugierig machende Welt evozieren, die den Dialog mit den Besucher:innen in Gang setzen.

www.falkenhorst.at

 

 

Heidi Comploj

Meine Vernissage-Rede am 29. April 2022

Das Axiom von Paul Watzlawik: „Man kann nicht NICHT kommunizieren“ hat mich dazu bewogen, meine Ausstellung ganz dem „Zwischen dir und mir“ zu widmen. Die vergangenen Jahre haben uns gezeigt, wie wichtig das Zwischen dir und mir ist.

Die Maske hat Mund und Nase verdeckt, es fehlte somit ein großer Teil unserer Mimik – doch – dadurch hatten wir die Möglichkeit uns tiefer und bewusster in die Augen zu schauen, auf die ganz feinen, sonst meist unbemerkten Aussendungen unseres Gegenübers zu achten.

Haben wir nicht die Chance durch Krisen, durch das Herausreißen aus dem gewohnten Alltag, darüber nachzudenken, was wir wirklich „aussenden“ und „empfangen“ wollen?

Ich lege großen Wert auf die Körpersprache, denn schon vor dem ersten gesprochenen Wort signalisiert mir mein Gegenüber seine Stimmung.

Augen, Ohren, Nase, Gefühle stehen auf Empfang. Auch Kleidung, Körperbemalung, Frisur sind Form von Kommunikation, zeigen Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zu einer Gesellschaftsschicht.

Die große Herausforderung unserer Zeit ist wohl die Informationsflut. Wie gehe ich damit um? Wie kann ich Wahrheit und Lüge auseinanderhalten und Manipulationen erkennen? Wir sind gefordert!!!

...

 

 

PD Dr. Claudia Bucheli Berger

Geleitwort einer Dialektforscherin an das Werk “Felix Austria“ von Heidi Comploj

Die Verständigung der Menschen untereinander zu fördern und die Beziehung untereinander positiv zu stärken, gelten gemeinhin als die Ziele der menschlichen Kommunikation. So wenigstens erhofft man es, als Mensch, als BürgerIn, als Kunstschaffende und Optimistin. So erklärt man es als Sprachwissenschafterin und Dialektforscherin den Studierenden. Doch Unstimmigkeiten, Missverständnisse, Lügen oder Nicht-Verstehen-Wollen prägen unseren Alltag genauso wie positive Kommunikationserlebnisse. Überall menschelt es, hatten weise alte Vorfahren schon gesagt. Momentan ist Vieles anders als noch vor 3 Jahren, im Umbruch. Wir erleben chaotische Auswirkungen von Verordnungen, wir erleben Streitgespräche, Hassreden, Demonstrationen für oder gegen die Unterteilung der Gesellschaft in Gruppen. Scheinbar am Ende des Redens kommt es zu Gesprächsabbruch zwischen Befreundeten, Schweigen, Sich-aus-dem-Weg-Gehen und neudeutsch dem Canceln und Ghosten. Die Gegenmittel wären bekannt: diskutieren, schlichten, diplomatische Reisen und Gespräche, Kompromisse aushandeln und idealerweise eine Versöhnung mit fortgesetztem Dialog. Doch leider bezeugen wir momentan gerade, dass alles immer noch schlimmer werden kann, dass Entscheidungsträger „ein Machtwort sprechen“ oder dazu übergehen, „die Waffen sprechen lassen“.

 

Heidi Comploj stellt sich mit ihren Bildern entschieden auf die Seite des positiven Austausches in der menschlichen Kommunikation. Ihre Bilder verwenden und thematisieren zugleich die Mittel der menschlichen Kommunikation, Farbe, Schrift, Formen, usw. Sie bezieht sich hier auf den Kulturraum Österreichs, auf die deutsche Sprache bzw. auf die österreichische Ausdrucksvielfalt, die auch mit Dialektverwendung einschließt. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gehören zu einem Dialog zwischen zwei Personen neben der Körpersprache ganz klar die sprachlichen Wörter. Als umfassende und komplexe Komposition erreicht eine Äußerung einer Person das Auge, das Ohr und die Gefühle des Gegenübers – gesetzt den Fall, dass Face-to-Face-Gespräche möglich sind, ansonsten sind einige dieser Kommunikationskanäle blockiert bzw. nicht vorhanden. Die sinnstiftenden Töne der Sprache bestehen aus Vokal- und Konsonantenfolgen, die dem menschlichen Sprachrohr – dem Nasen-, Mund- und Kehlkopfraum – entspringen. Sie werden gemeinhin Sprache, Dialekt oder Mundart genannt. Die Wissenschaft rechnet die Gesamtkomplexität mitsamt allen sprachlichen und non-sprachlichen Teilen zur sprachlichen Kommunikation hinzu. Die Sprache unterteilt sie – Wissenschaft heißt, Ordnung ins Chaos bringen – je nach regionalem oder sozialem Bezug in Varietäten (z.B. Montafoner Mundart, Tiroler Umgangssprache, Salzburger Stadtsprache, usw.) und Gruppensprachen (z.B. Geheimsprachen, Jugendsprache, usw.). Als Dialektologin umschreibe ich den Dialekt als ein regionales oder lokales, manchmal auch nur innerfamiliäres Kommunikationsmittel, das über Generationen weitergegeben wurde, auf ältere Dialekte und die mittelhochdeutsche Sprache zurückgeht, sich seither verändert hat und sich auch aktuell verändert. Personen, die heute noch zuhause Dialekt sprechen, können außerhalb dieses Rahmens in unterschiedlichsten Situationen auch andere Varietäten anwenden wie Regionaldialekt, Stadtsprache, Jugendsprache, usw. Die Mobilität, Ausbildung und Arbeitsstellen haben einige Sprecher und Sprecherinnen der unterschiedlichsten österreichischen Dialekte in neue bzw. andersdialektale Regionen geführt. Jeder kennt jemanden, der anders auf „Österreichisch“ als er spricht. Meistens werden Andersdialektale mit ein wenig Willen und Zeit verstanden, weil seine/ihre Varietät zur Sprache Deutsch gehört und kleinere Anpassungen an die Umgebungssprache die Verständigung erleichtern.

Neckereien über regionale Unterschiede sind Legion (z.B. das Tiroler kch). Sie dienen manchmal zwar der Abwertung und Ausgrenzung, aber manchmal auch der Kontaktaufnahme mit einem neckenden Augenzwinkern, als Konversationshilfe.

 

Ebenfalls hört man durch die Medien unterschiedliche Dialekte und unterschiedliche Ausspracheweisen der österreichischen Standardsprache. Dieses „Im-Ohr-Haben“ der Vielfalt der Ausdrücke kann irritieren und Fragen auslösen. Man hat ein Wort schon gehört, kann jedoch den genauen Sinn des Wortes nicht beschreiben. Diese Situation nimmt die Künstlerin in ihren Bildern auf. Die Künstlerin entführt uns visuell, typographisch und materiell in solche Gefilde des „Österreichischen“. Jedes dieser Bilder ist ein multimodales Suchrätsel. Welches Wort ist enthalten? Welche Figuren gibt es? Wie spielen Farben, Formen, usw. mit dem Begriff und den Figuren zusammen? Was ist denn ein GSPAANA? Ist das einfach ein Freund oder mehr? Welche Bedeutung verbirgt sich hinter dem lieblichen Klang des Ausdrucks GÜXLA? Hat dies etwas damit zu tun, dass die runde Figur in der ovalen Umrandung weggekippt zu sein scheint und uns nicht anschaut, sondern wegblickt? Fragen über Fragen, die man mit der Künstlerin oder anderen Betrachtern bereden möchte.

 

Ich bin nur Dialektexpertin, doch ich denke, dass das grau-lila Bild mit dem etwas versteckten Begriff HOAMATLE das Publikum dazu auffordert, miteinander darüber zu diskutieren, ob das blühende Edelweiß – eine nahezu ausgestorbene alpine Pflanze und ein oft und seit Langem benutztes Symbol – nicht doch etwas überfordert ist, den komplexen Wortinhalt von ‚Heimat' abzubilden? Was würden Sie abbilden, formen, umgestalten, mit welchen Farben würden Sie für Ihre Bedeutung von HOAMATLE arbeiten? Ganz sicher ist für mich, dass dieses Bild ein Gesprächsangebot ist, sich respektvoll und in welcher Sprache / Varietät auch immer auszutauschen, sich über alle Spaltungen der Gesellschaft hinweg mit Worten, Gesten und Mimik zu verständigen.

 

PD Dr. Claudia Bucheli Berger, Tiroler Dialektarchiv, Universität Innsbruck

 

 

Rolf Thiele

Ein Denken in Ereignissen

…Diese Kunstpraxis stellt die Frage neu, inwieweit sich die Kunst in dem manifestiert, was uns als Kunst dargeboten wird. Kunstwerke sind Halbdinge, in ihrer Struktur vergleichbar mit Denkprozessen, und werden dadurch gekennzeichnet, dass sie in ihrer unbedingten Hälfte unbeständig, dem Wechsel durch Interpretation unterworfen, ihrer Natur nach anders werdend sind. Die dingliche, körperliche Hälfte, das Werk, das Material, ist auf Dauer organisiert und bleibt präsent und anschaulich. Während der Interpretation öffnet sich die unbedingte Hälfte und lässt die bedingte Hälfte, von der sie ausging, für Momente/Augenblicke sich aus der Aufmerksamkeit entfernen. Nur auf diesem Umweg kommt die Kunst zum Werk, es kann Kunstwerk werden. Das Ding ist Sein, die Kunst ist Werden; Kunst ist ein Phänomen...

 

 

Harald Jegodzienski

Vernissagerede BLUDENZSTADTGESPRÄCH

…Es entstanden Formen, die sich anscheinend zwischen Entstehen und Auflösung, zwischen Natürlichkeit und Architektonik befinden. Formen, die Schicht um Schicht wachsen, Gestalt annehmen und dies in zwei technisch gegensätzlichen Fällen: Erdschicht um Erdschicht, Farbschicht um Farbschicht. Das was nun vom Betrachter zu schürfen ist, ist Schicht um Schicht die Essenz zu ergründen, so wie man gedanklich das Wesentliche vom Unwesentlichen wegfiltert…